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„Dabei sein ist alles“ – das ist das Motto der Olympischen Spiele. Zwei bayerische Linienrichter*innen haben sich diesen Traum erfüllt: Für die beiden geht es im Sommer dieses Jahres nach Tokio. Wir sprachen mit Jürgen Voss und Lina Engl über ihren Werdegang zur Linienrichter*in und ihre Vorbereitung auf Olympia bzw. auf die Paralympics – so ganz ohne Turniere.

Jürgen Voss ist 53 Jahre alt und spielt Badminton seitdem er 19 Jahre alt ist. Gebürtig kommt er aus Nordrhein-Westfalen – zog aber beruflich nach Regensburg, wo er nun seit fünf Jahren lebt. Dort spielt er bei der SG Post Süd Regensburg. 2002 war er zum ersten Mal als Linienrichter tätig.

Lina Engl ist 37 Jahre alt und spielt nicht mehr aktiv Badminton. Sie stammt aus München und wohnt jetzt seit ein paar Jahren in Berchtesgaden. Seit über 20 Jahren ist sie bereits Schiedsrichterin. Ihren ersten Para-Badminton-Einsatz hatte sie mit 22 Jahren.

Monika Weigert: Wie wurdest du Linienrichter*in?

Jürgen Voss: „Durch Zufall! 2002 war ich zum ersten Mal als Linienrichter tätig. Meine damalige Freundin hatte eine Anzeige in der BADMINTON SPORT gesehen. Und ich dachte mir: Warum nicht? Seitdem war ich auf 56 Turnieren als Linienrichter. Zu dem Zeitpunkt, als ich angefangen habe, war es wichtig die richtigen Leute zu kennen. Um zu Olympia zu kommen, braucht man aber mittlerweile eine Schiedsrichter-Ausbildung.“

Lina Engl: „Ich bin eigentlich Schiedsrichterin. Vor 16 Jahren habe ich eine Ausschreibung zu einem Para-Badminton-Turnier gesehen. Daraufhin habe ich dort ausgeholfen. Ich war sofort fasziniert von der Sportart und bin seitdem auch als Para-Badminton-Schiedsrichterin tätig. Da Badminton zum ersten Mal paralympisch wird, entwickelt sich die Struktur für die Schiedsrichter*innen und Linienrichter*innen noch. Durch meine vielfältige Erfahrung im Para-Badminton, wurde ich für die Paralympics in Tokio als Linienrichterin ausgewählt.“

Jürgen Voss im Einsatz bei der Jugend-WM 2017 (Foto: Privat)

Was begeistert dich an der Tätigkeit?

Lina Engl: „Man ist so nah am Spielgeschehen dran, wie sonst kaum jemand. Ich habe sozusagen den besten Zuschauerplatz. Ich mag die Tätigkeit, da das Spiel so fair abläuft und sich keine*r durch Regelwidrigkeiten einen Vorteil verschaffen kann.“

 Jürgen Voss: „Du bist ein Teil des Turniers und hast den besten Platz. Man sieht mehr Einzelheiten als jede*r Zuschauer*in. Dazu kommt, dass man über die Jahre viele Leute aus der ganzen Welt kennenlernt. Wir sind wie eine große Community.“

Wie wird man für Olympia nominiert?

Jürgen Voss: „Es gibt nur wenige Linienrichter*innen, die die Chance bekommen dabei zu sein. Insgesamt wurden zehn nominiert. Um in die BWF-Schiedsrichtergruppe aufgenommen zu werden, muss man von seinem jeweiligen Verband ausgewählt werden. Schafft man es in die BWF-Gruppe, ist man für vier Jahre Mitglied. Danach kann man es um weitere vier Jahre verlängern. Man kann sich auf vier Turniere pro Jahr bewerben. Zurzeit gibt es so viele BWF-Schiedsrichter, dass man nur ein Turnier alle zwei Jahre zugeteilt bekommt. Bei Olympia wird man vom BWF ausgewählt. Ich wurde also mehr oder weniger durch Glück ausgewählt. Es war auch meine letzte Chance, da meine acht Jahre nun vorbei sind. Jetzt ist erstmal Zeit für eine neue Generation.“

Wie wird man für die Paralympics nominiert?

Lina Engl: „Ich wurde gefragt, ob ich Interesse hätte, als Linienrichterin bei den Paralympics tätig zu sein. Daraufhin habe ich zugesagt. Natürlich wäre ich noch viel lieber als Schiedsrichterin nominiert worden, aber als Linienrichterin dabei zu sein ist auch toll. Ich freue mich sehr, dass ich hautnah miterleben darf, wie Badminton zum ersten Mal paralympisch ist. Diese Entwicklung von diesem Sport ist einfach fantastisch.“

Was war bist jetzt dein größtes Ereignis?

Jürgen Voss: „Die Weltmeisterschaft in Madrid war auf jeden Fall ein Highlight. Damals haben es zwei deutsche Spielerinnen auf das Podest geschafft. Ich war auch zweimal auf einer Jugend-WM in Indonesien und Malaysia. 2007 war ich beim Sudirman Cup in Glasgow – das war auch ein großes Ereignis.“

Lina Engl: „Ich werde nie meine erste Para-Badminton-Weltmeisterschaft in Taiwan vergessen. Das war 2005 und erst mein zweites Para-Turnier, das ich geschiedsrichtert habe. Außerdem war es mein erstes Turnier in Asien und es war echt schlecht organisiert (lacht). Jede oberbayerische Meisterschaft war besser organisiert. Ein weiteres absolutes Highlight war die WM und Para-WM vor zwei Jahren in Basel, da die beiden Turniere zum ersten Mal zeitgleich stattgefunden haben. Das war richtig toll!“

Wie wird es vor Ort in Tokio ablaufen?

Lina Engl: „Vor Ort bekommt man eine Unterkunft in geteilten Zimmern gestellt. Meistens bekommt man eine kostenlose Verpflegung und ein bisschen Taschengeld. Für den eigentlichen Termin der Paralympics 2020 musste ich den Flug selbst bezahlen – jetzt bei der Wiederholung werden die Flugkosten eventuell übernommen. Bezüglich der Corona-Maßnahmen habe ich bisher keine Informationen bekommen. Wir arbeiten bei den Paralympics in Schichten. Ich hoffe, dass ich dadurch genug Freizeit habe, um andere Sportarten zu verfolgen, wenn wir das dürfen.“

 Jürgen Voss: „Im Moment bin ich mir noch nicht sicher, ob Olympia stattfindet. Im Normalfall zahlt man als Linienrichter eher drauf. Bei mir ist es mit den Kosten in Tokio genauso wie bei Lina. Bisher habe ich kaum Informationen zum Ablauf in Tokio: Das Einzige, was ich weiß, ist das Olympia entspannter ist als andere Turniere. Normalerweise sitzt man 10 bis 12 Stunden an der Linie. In Tokio wird das deutlich weniger Arbeitszeit sein.“

Lina Engl hat sichtlich Spaß an ihrer Tätigkeit als Schiedsrichterin (Foto: Alan Spink)

Bei welchen Spieler*innen wärst du am liebsten Linienrichter?

Jürgen Voss: „Ich kann mich nicht auf Spieler*innen festlegen. Meine Lieblingsdisziplin ist aber das Herrendoppel. Es ist einfach unfassbar schnell. Als Linienrichter muss ich in dieser Disziplin durchgängig hellwach sein. Das macht mir am meisten Spaß. Ein Damen- oder Herreneinzel kann sich wirklich hinziehen, da man nicht so viel zu tun hat. Im Herrendoppel muss man einfach immer konzentriert sein, um die richtige Entscheidung treffen zu können.“

Worauf freust du dich am meisten?

Lina Engl: „Tatsächlich habe ich die Freude noch gar nicht richtig zugelassen, da ich noch zweifle, ob die Paralympics wirklich stattfinden können. Ich wollte schon immer nach Japan. Ich habe sogar versucht, die Sprache zu lernen. Ich freue mich sehr darauf die Freude der Sportler*innen zu sehen. Sie haben mindestens drei Jahre hart dafür trainiert, um bei den Paralympics aufschlagen zu können. Es ist eine große Ehre für mich, das mit erleben zu können. Die ganze harte Arbeit der Spieler*innen und der ehrenamtlichen Arbeiter*innen wird endlich belohnt.“

 Jürgen Voss: „Wenn es stattfindet, gibt es sehr viel, worauf ich mich freue. Die olympischen Spiele werden jedoch sehr besonders werden. Ich hoffe, man kann in Tokio mehr sehen, als nur sein Hotelzimmer und die Sporthalle.“

Denkst du, du wirst nervös sein?

Lina Engl: „Ganz sicher! Das ist immer so bei mir. Wenn man in die Arena reinläuft, bin ich immer nervös. Sobald aber das Spiel losgeht, liegt mein Fokus nur auf dem Spielgeschehen. Die Aufregung ist dann weg – hoffentlich ist das bei den Paralympics auch so.“

Jürgen Voss: „Bei mir ist es normalerweise so, dass ich beim ersten Spiel eines Turniers ein bisschen nervös bin. Aber mehr auch nicht.“

Wie bereitest du dich vor ganz ohne Turniere?

Lina Engl: „Mein letzter Turniereinsatz war 2020 in Peru. Das war ein Para-Turnier. Dort habe ich zusätzlich neben meinen Schiedsrichter-Schichten als Linienrichterin ausgeholfen, um es zu üben. Erfahrungen als Linienrichterin habe ich durch zwei Einsätze bei den Swiss Open. Tatsächlich finde ich das Linienrichten härter als das Schiedsrichten: Man braucht unheimlich viel Konzentration. Zur Vorbereitung auf die Paralympics werde ich mir noch ein paar Videos anschauen. Außerdem werde ich meditieren, um an meiner Konzentration zu arbeiten. Falls ich noch ein paar Turniere bis zum Sommer schiedsrichtern darf, werde ich dort auch als Linienrichterin aushelfen, damit ich wieder reinkomme.“

Herzlichen Glückwunsch Lina und Jürgen zu dieser besonderen Nominierung. Wir wünschen euch viel Erfolg bei den olympischen bzw. paralympischen Spielen in Tokio!